Selbstinterview
zur Show im Rahmen von „TANZNACHT 2023“ in der Tanzfabrik am 9. September 2023, 10:25 – 11:35 Uhr, Uferstudio 14

a, warum bist du bei deiner Performance im Rahmen der TANZNACHT 2023 nicht anwesend?


Nachdem ich das Konzept der TANZNACHT 2023 verstanden hatte, wurde mir schnell klar, dass ich mich einer Performance-Situation aussetzen müsste, die ich nicht stemmen kann, ohne dabei gesundheitlichen Schaden zu nehmen. Ich musste mir also die Frage stellen, ob ich die Teilnahme ablehne, weil die Bedingungen für mich nicht zugänglich sind, oder einen künstlerischen Beitrag erarbeite, der sich an meine Körperlichkeit anpasst und nicht umgekehrt. 

In meiner Arbeit beschäftige ich mich viel mit der Frage, wie ich mit der Unvorhersehbarkeit von Verfügbarkeiten im Tanz umgehe. Um mir Zugang zum Tanz zu verschaffen, habe ich unterschiedliche choreographische Lösungen entwickelt. Etwa das horizontale Performen oder die Einbindung von Strategien des Ausruhens und anderen Praktiken, die das Nervensystem regulieren.

In dem Fall, dass ich zum Zeitpunkt einer Show aus gesundheitlichen Gründen überhaupt nicht verfügbar bin, schicke ich mein Bett alleine ins Theater. Das Bett nimmt in meinen Choreographien also bereits eine stellvertretende Funktion ein. Deshalb war mir schnell klar, dass ich mich von einer Matratze vertreten lasse. 

Entspricht dein TANZNACHT-Input eigentlich einem Performance-Format? Oder wäre eine Tanzperformance ohne die Anwesenheit eines Körpers nicht eher als Installation zu begreifen?

Ich bin Tänzerin und Choreographin und denke meine Arbeit vom eigenen Körper ausgehend. Zu dieser Performance gehört ein Körper. Dieser Körper ist ein erschöpfter und widerständiger Körper. Die Arbeit, die ich heute zeige, fußt auf der Verweigerung, die Grenzen meiner körperlichen Leistungsfähigkeit zu negieren und dem Wunsch, diese Verweigerung in einem Tanzkontext zu thematisieren. 
Das 25-jährige Jubiläum eines Festivals, das die Szene der in Berlin arbeitenden Choreograph*innen möglichst divers abbilden möchte, erschien mir dafür gut geeignet. Das Publikum wird in 25 Stunden über 80 Angebote von Performance und Choreographie konsumieren können, übereinander und nebeneinander. Ein Festival der Erschöpfung. Mein Angebot widmet sich einer Bewegung, die dem Publikum ermöglicht, dem Gefühl der Erschöpfung etwas entgegenzusetzen: Aufhören.
Neben dem Ausruhen und dem Vergnügen gehört auch das Aufhören zunehmend zu meinen künstlerischen Praktiken. Ich finde das Aufhören spannend, weil es momentan nicht gelingt, aufzuhören, obwohl genau das die klügste und gesündeste Bewegung wäre. Es scheint so, als ob wir das Aufhören verlernt haben. Deshalb biete ich es hier als Kulturpraxis an
, und würde mich freuen, wenn sich andere vielleicht dann auch intensiver mit den großartigen Qualitäten des Aufhörens beschäftigten und sich selbst darin ausprobieren. Wer weiß, wie aufhören geht, kann schneller reagieren, wenn’s brennt. Und es brennt ja hin und wieder schon ordentlich. 

Praktische Übungen zum Aufhören für Anfänger

Pflanzenpflege

Details

 

Was Sie hier sehen, ist ein Bild von mir, wie ich meine Schefflera putze.

Den klebrigen Holzboden unter der Schefflera hatte ich lange Zeit einer womöglich von den Kindern verschütteten Limo zugeschrieben. Irgendwann klebte es dann wieder an der gleichen Stelle. Es hat dann leider noch ein bisschen länger gedauert, bis ich soweit war, die Pflanze mit dem Limokleb gedanklich zusammenzubringen. Irgendwann kam ich aber drauf. Ich schaute mir die Pflanze genauer an und entdeckte, dass auch ihre Blätter klebten. Im nächsten Schritt googelte ich erst den Namen der Pflanze und dann „Schefflera klebrige Blätter“.

Schildläuse. Aha. 

Aus einem Grund, den ich nicht genau greifen kann, unternahm ich nichts. Wahrscheinlich hatte ich viele andere Dinge zu tun und verdrängte die Sache erfolgreich. 

Die Schefflera sah dann zunehmend schlechter aus. Erst viele Bodenreinigungen später googelte ich nochmal, um herauszufinden, was zu tun ist, um den Schildläuse-Befall zu stoppen. Kann ja nicht so schwer sein. 

Ich entschied mich für ein Neemöl-Präparat. 17 Euro. Ganz schön teuer, dachte ich. 

Ich behandelte die Schefflera mit dem Zeug und topfte sie um. Das war vor ungefähr 6 Monaten. Die Pflanze sieht jetzt wieder top aus. Seit ein paar Wochen klebt es allerdings wieder, und auf den Blättern und Stengelchen sieht man unzählige Schildläuse. Also wieder Neemöl. Das will die Schefflera aber jetzt nicht mehr. Sie krampft ihre Blätter zusammen und färbt sie gelb. 

Wie alt werden eigentlich Scheffleras?

Und was macht man mit alten Zimmerpflanzen, wenn sie so stark mit Schildläusen befallen sind, dass man sie vom Befall nicht mehr erlösen kann?

Da ich einige alte Sachen zum Sperrmüll geben will (ein gerahmtes Poster mit Bud Spencer und Terence Hill, einen großen Gipsmond, eine 2,5 m x 2 m Schullandkarte der ehemaligen UdSSR, ein paar kaputte Stühle und ein Schaukelpferd), hatte ich heute Vormittag kurz darüber nachgedacht, ob man eventuell auch große Zimmerpflanzen von der BSR abholen lassen kann. Und was die dann wohl damit machen? Die Schefflera ist ja nur krank und eventuell alt, aber nicht tot. Der Sperrmüll wäre definitiv ein zu brutales Szenario. Das geht also nicht. Dafür kenne ich sie auch schon zu lange. 

Die Schefflera begleitet mich seit meiner frühen Jugend und hat sich seither nur selten beschwert, obwohl ich sie zeitweise nicht gut behandelt habe. Sie wurde zwischendurch wochenlang ignoriert, war mehrmals vollkommen ausgetrocknet oder überwässert, stand immer mal wieder an „falschen“ Plätzen, wurde von Kleinkindern berupft, und nur einige wenige Male in ihrem Leben umgetopft. Sie hat das alles ertragen. Wenn es ihr dann doch zu viel wurde, warf sie ihre Blätter ab. Sie war ein paar Mal fast kahl oder gelbblättrig, hat sich aber immer im letzten Moment noch auf eine Versöhnung eingelassen und zeigte sich nach einer kurzen und intensiveren Zuwendung gefolgt von einer wieder sehr anspruchslosen Aufmerksamkeitsroutine recht bald wieder sprießend.

Und jetzt hat sie chronisch Schildläuse und ich chronisch Gehirnentzündungen.

Heute Vormittag bin ich allein in der Wohnung und genieße den terminfreien Samstag. Ich wollte heute das Kreisler-Lied für den TANZNACHT-Input bearbeiten und die beiden Stellen überpiepen, die ich aus feministischer Perspektive problematisch finde. 

Mir ist aber jetzt nach etwas anderem. Ich möchte heute lieber die Schefflera retten und entschließe mich, die Schildläuse mit Seifenwasser händisch von den Blättern und Stengelchen zu entfernen. 

Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie die Schefflera zu mir kam. Ich glaube, dass meine Mutter sie mir irgendwann ins Kinderzimmer gestellt hatte. Fakt ist, dass sie mit mir in die erste eigene Wohnung umzog. Das war 1994. Seitdem ist sie also ganz sicher schon mit mir, und demnach wäre sie ca. 30 Jahre alt. Ich nahm sie immer mit, wenn ich umzog. 

Worüber ich nachgedacht habe beim Putzen:

Halte ich die Praxis der Pflanzenpflege aus, ohne mich dabei mit einem Hörerlebnis ablenken zu müssen?

Mit einem True Crime Podcast zum Beispiel?

Kann ich mich vielleicht ausruhen, während ich mich um die kranke Schefflera kümmere? 

Ich denke daran, wie ich meinen Partner nach seiner schweren OP im Krankenhaus sehr lange, langsam und behutsam gewaschen habe. Ich denke an den Zauber dieses Moments. An das Gefühl der tiefen Verbundenheit und der absoluten inneren Ruhe.

Ich denke an Yin Yoga, dann kurz an die Netflix-Doku über Bikram und dann an die Schildläuse, die gerade an meinen Händen kleben.

Leben Schildläuse eigentlich auch auf Menschen?

Ich denke an meinen Großvater, der eine frisch gepflückte Pflaume nie erst halbiert und so überprüft hat, ob sie eine Made in sich trägt, bevor er sie aß. Er aß auch immer den kompletten Apfel. Mit Gehäuse. 
Mein Großvater brachte allen Dingen, die ihn umgaben, die vollste Wertschätzung entgegen. Er pflegte alle seine Sachen, bis sie nicht mehr zu retten waren. Danach zerlegte er sie und fand für die „gesunden“ Bestandteile eine andere nützliche Verwertung.

#Kriegskind
#Arbeiter*innenklasse
#Kommunistische Sozialisierung
#Eltern während des NS-Regimes verfolgt, geflüchtet, Mutter auf der Flucht verstorben

Wie nennt man eigentlich Kinder, deren Eltern im NS-Regime untertauchten, und während dieser Zeit bei fremden Personen aus dem Unterstützer*innennetzwerk unterkamen? 

Wo möchte ich eigentlich leben, falls die AfD irgendwann in den nächsten Jahren stärkste Partei wird?

 

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